Prozessautomatisierung mit Ansys in der frühen Entwicklungsphase
Martin Meiler
26.09.2025
TechArticle 25/08 | Variantenstudie am Beispiel einer Wärmepumpe
Mit zunehmender Produktkomplexität gewinnen Methoden zur Integration von Prozessen und Optimierung von Designentscheidungen an Bedeutung. Am Beispiel einer Wärmepumpe wird gezeigt, wie Prozessintegration und Designoptimierung (PIDO) Fachwissen aus verschiedenen Disziplinen zugänglich macht und System Engineers unterstützt, bereits in frühen Entwicklungsphasen optimale Lösungen zu identifizieren.

PIDO-basierter Auslegungsprozess am Beispiel einer Wärmepumpe | © Adobe Stock/CADFEM Germany GmbH
Prozessintegration im Systems Engineering
Ein neues Produkt entsteht nicht einfach so, sondern ist das Ergebnis des Zusammenspiels unterschiedlichster Stakeholder, Fachdisziplinen und Experten. Erfolgte früher die Abstimmung noch häufig dokumentenzentrisch, ist aktuell mehr und mehr der Übergang auf modellbasierte Verfahren zu beobachten. Der Vorteil liegt auf der Hand: es gibt jeweils eindeutige Datenspeicher für Anforderungen, Architekturen, Product-Lifecycle-Management (PLM), xCAD-Daten und viele mehr. Daraus resultieren eindeutige Informationen und keine Abteilung und kein Mitarbeiter kann auf einem veralteten Stand der Daten arbeiten, da die Daten webbasiert im Browser inkl. der Historie abrufbar sind.
Im Systems Engineering gibt es zahlreiche Aktivitäten zu koordinieren: unter anderem sind dies Abstimmung von Anforderungen, Entwicklung von funktionalen und technischen Architekturen, Koordinierung der Identifikation von Komponentenvarianten, natürlich gemeinsam mit den betreffenden Fachabteilungen. Traditionell wurden die Fachabteilungen gebeten, eine oder mehrere Varianten einer Komponente auszulegen. Hierfür wurden mögliche Variationen besprochen, zugehörige Varianten ausgelegt und überprüft, ob die Anforderungen eingehalten werden. Dieser zeitintensive Prozess wird für unterschiedliche Komponenten in diversen Abteilungen umgesetzt und birgt Fehlerpotential durch unabgestimmte Änderungen oder Verständnisprobleme in der Kommunikation. Was durch den Prozess nicht einfach realisiert werden kann, sind Optimierungen auf Produktebene. Hier setzt die Aufgabe der Prozessintegration an.
Darstellung des Informationsflusses während der Produktentwicklung | © CADFEM Germany GmbH
Demokratisierung des Expertenwissens
Die Einbindung verschiedener Fachabteilungen in den Auslegungsprozess stellt organisatorisch für das Systems Engineering Team eine Herausforderung dar. Abhängigkeiten müssen erkannt und durch den Entwicklungsprozess berücksichtigt werden. Sollte nach dem Durchlauf des vollständigen Prozesses ein Redesign nötig sein, so muss der vollständige Prozess abermals durchlaufen werden. Bisher erfolgte der Kommunikationsprozess, bei dem Anforderungen an die zu entwickelnde oder bereitzustellende Komponente ausgetauscht werden, zumeist durch Dokumente, Emails oder Besprechungen. Das Ergebnis der Auslegung der Fachabteilung wurde auf ähnlichem Weg und Format wieder an das Systems Engineering kommuniziert.
Bei hoher Auslastung der Fachabteilung bestand die Gefahr des Projektverzugs, da dann eine Priorisierung der aktiven Projekte erfolgen musste. Neben der Zeit, die die Ausführung der unterschiedlichen Design- und Berechnungswerkzeuge erfordert, besteht dabei auch die Gefahr von Informationsfehlern, die beim Übertrag der Daten in beide Richtungen auftreten können. Wünschenswert ist daher ein Prozess, bei dem Informationen nicht übertragen, sondern direkt genutzt werden können. Kann dieser Prozess mittels definierten Datenschnittstellen automatisch gestartet werden, können Informationsfehler und Zeitprobleme eliminiert werden.
Oben: Beispiel des manuellen Prozesses. Unten: Beispiel einer demokratisierten Komponente | © CADFEM Germany GmbH
Diese Demokratisierung des Expertenwissens erfordert Validierungsschritte der Modellkomponente sowie die Vorgabe von Gültigkeitsbereichen für die Eingangsparameter. In der Praxis ist es von Vorteil, wenn sprechende Namen für die Komponente sowie Namenskonventionen für die Definition von Ein- und Ausgängen verwendet werden und Informationen bzgl. der Randbedingungen und Anwendungshinweise hinterlegt sind. Daneben spielt auch die explizite Spezifikation von Einheiten für Ein- und Ausgänge eine wichtige Rolle, die bei internationalen Teams und der gemischten Verwendung von imperialen und metrischen Einheiten entscheidend ist. Wenn möglich, sollten SI-Einheiten verwendet werden, um Konversionsfehler zu vermeiden.
Schnellere Entwicklung durch Prozessautomatisierung
Für den Produktentwicklungsprozess und das Systems Engineering kann durch die Demokratisierung jederzeit auf Expertenwissen zugegriffen werden. Dies ermöglicht schnellere Aussagen im Systems Engineering zu realisierbaren Komponenten eines Produktes. Hierdurch kann der Entwicklungsprozess erheblich beschleunigt werden. Auch für die Fachabteilungen und die dort tätigen Experten ergeben sich daraus Vorteile. Repetitive Aufgaben entfallen nun bei validierten und veröffentlichten Workflows. Somit haben die Experten Zeit, sich auf die Entwicklung neuer Lösungen bzw. die Demokratisierung weiterer Verhaltensmodelle zu konzentrieren. Die wertvolle Entwicklungszeit von Fachexperten kann durch die Demokratisierung nun fokussiert auf wertschöpfende Aufgaben verwendet werden.
Somit stellt die Erstellung von Verhaltensmodellkomponenten für sowohl das Systems Engineering wie auch die Fachabteilungen eine Win-Win-Situation dar. Bei Neuentwicklungen kann dieser Vorteil allerdings nur in begrenztem Maße genutzt werden. Wenn völlig neue Konzepte eingesetzt werden, bei denen es an Erfahrung und Vertrauen in die Modelle fehlt, muss bis zum Erreichen eines bestimmten Technology Readiness Levels (TRL) der neuen Komponenten mit der Demokratisierung gewartet werden, bis die nötigen Validierungs- und Verifikationsschritte erfolgt sind.
Systemoptimierung durch interdisziplinäre Modelle
Nicht nur der jetzt schneller durchführbare Auslegungsprozess stellt einen Vorteil dar. Als Nebenprodukt kann nun auch eine Optimierung des Produktes auf Systemebene erfolgen. Im klassischen Prozess konnte durch serielle Abstimmungen zwischen Entwicklungsabteilungen die Rückwirkung von Designänderungen auf andere Komponenten nur schwer und mit entsprechendem Zeitaufwand berücksichtigt werden. Das Zusammenspiel der Verhaltensmodelle von Komponenten und der automatisierte Datenaustausch erlauben sowohl lokale Optimierungen einzelner Komponenten sowie die Ermittlung einer optimalen Produktkonfiguration.
Die Abbildung des vollständigen Produktauslegungsprozesses bietet einen weiteren Vorteil. Auf Produktebene können nun pro Zielgröße die relevanten Designparameter identifiziert werden. Durch eine statistische Versuchsplanung (oder englisch Design of Experiments), Variantenstudien und geschickte Abtastung des Parameterraums kann die Sensitivität der Zielgrößen auf die Einflussparameter ermittelt werden. Für anschließende Optimierungsaufgaben ist dieser Schritt obligatorisch, da so die Anzahl der relevanten, unabhängigen Designparameter reduziert sowie die Variationsbandbreite eingeschränkt werden kann.
In der heutigen globalisierten und vernetzten Welt finden Entwicklungsaktivitäten nicht nur an einem Standort statt, sondern verteilt über mehrere Standorte, vielleicht auch in unterschiedlichen Ländern, Kontinenten und Zeitzonen. Wie kann hier eine Demokratisierung oder ein Datenaustausch erfolgen? Hier kommt Ansys ModelCenter ins Spiel. Durch die Remote Execution Funktionalität, besteht die Möglichkeit, pro Abteilung einen Remote Execution Server zu realisieren, auf dem Prozesskomponenten veröffentlicht und ausgeführt werden. Benötigte Programme und Lizenzen werden also am Standort der Fachabteilung bereitgestellt und durch die Fachexperten betreut.
Exemplarische Darstellung des vernetzten Auslegungsprozess unter Verwendung von Remote Execution Servern der einzelnen Fachabteilungen und Standorte | © CADFEM Germany GmbH
PIDO-basierter Auslegungsprozess einer Wärmepumpe
Abschließend wird anhand einer Wärmepumpe dargestellt, wie ein automatisierter Auslegungsprozess aussehen kann. Eine Wärmepumpe verwendet typischerweise ein FCKW-freies Kältemittel. Im außenliegenden Verdampfer (Evaporator) wird das flüssige Kältemittel durch die Außenluft erwärmt und verdampft. Mittels eines elektrisch betriebenen Kompressors werden Druck und Temperatur des gasförmigen Kältemittels erhöht. Der Wärmeübergang der höheren Temperatur des Kältemittels an die Raumtemperatur erfolgt im Kondensator, in dem das Kältemittel wieder in den flüssigen Zustand kondensiert. Abschließend strömt das Kältemittel durch ein Druckminderventil zurück zum Verdampfer, in dem der Zyklus von vorne beginnt.
Vereinfachte Architektur einer Wärmepumpe mit Wärmeflussschnittstellen zur Außenwelt und in das Haus. | © CADFEM Germany GmbH
In diesem Beispiel betrachten wir nicht die Eigenentwicklung von Komponenten wie Kompressor oder Druckminderventil. Es wird vielmehr die Systemintegratorrolle übernommen und aus verfügbaren Komponentenkatalogen ein optimales Produkt identifiziert. Anhand unterschiedlicher Kataloge werden Komponenten und ein Kältemittel ausgewählt und die relevanten Größen wie Gesamtkosten, Coefficient of Performance (CoP) und Schallemission betrachtet.
Automatisierter Workflow in Ansys ModelCenter zur Berechnung von Schallemission, CoP und Gesamtkosten. | © CADFEM Germany GmbH
Der hier dargestellte automatisierte Workflow wurde in Ansys ModelCenter erstellt. In dieser Darstellung sind die relevanten Einflussparameter sowie die Ausgangsgrößen des Workflows dargestellt. Datenverknüpfungen sind durch Verbindungen zwischen den Komponenten ersichtlich. Wenn Sie selbst solche Modelle entwickeln möchten, lohnt sich ein Blick in die zweite Staffel von Let’s Simulate Safe & Secure Systems: Dort erleben Sie live, wie strukturierte, modulare Workflows entstehen. Oder Sie bauen Ihr Know-how gezielt aus – mit dem CADFEM eLearning zu Ansys ModelCenter. Hier lernen Sie, auch komplexe Modelle souverän aufzusetzen und so die Systementwicklung auf das nächste Level zu heben. Zusätzlich erhalten Sie wertvolle Informationen zur automatisierten Bestimmung der optimalen Parameter durch das CADFEM Seminar zu Ansys optiSLang.
Abschließend sei noch darauf hingewiesen, dass die in Ansys ModelCenter realisierten Verhaltensmodelle auch mit entsprechenden Architekturmodellen verbunden werden können. Hierfür bietet sich der neue Ansys System Architecture Modeler an, der das Herzstück der Digital Engineering Strategie von Ansys darstellt. Dieser wird in einem zukünftigen TechArticle vorgestellt werden.
FAQs
Was ist PIDO?
PIDO ist die Kurzform von Prozessintegration und Design Optimierung. Die Prozessintegration beschreibt hierbei das Zusammenspiel unterschiedlicher Verhaltensmodelle inkl. des Datenaustauschs zwischen den Komponenten. Die Design Optimierung beschreibt die Ermittlung eines mathematischen Optimums durch die Vorgabe einer oder mehrerer Zielfunktionen, wobei auch Randbedingungen und Einschränkungen des möglichen Wertebereichs vorgegeben werden können. Eine automatisierte Optimierung ist mit Ansys optiSLang möglich.
Was bezeichnet Demokratisierung?
Als Demokratisierung wird im Zusammenhang mit Verhaltensmodellen die Bereitstellung von Expertenwissen mittels validierter Komponenten bezeichnet. Hierbei werden Ergebnisgrößen auf Basis von ggfs. bereichsbeschränkten Eingabeparameter berechnet.

Tipp
Let’s Simulate – Safe and Secure Systems
Funktionale Sicherheit im Produktentwicklungsprozess - mit welchen Strategien Sie ihr Ziel erreichen.

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Ob im Maschinenbau, in der Luftfahrt oder bei der Produktentwicklung: Strömungssimulationen sind für präzise und schnelle Entwicklungsprozesse unerlässlich. Doch wie unterscheiden sich CPU- und GPU-basierte Simulationen, und was sind die wichtigsten Kriterien bei der Hardwarebewertung? Dieser Beitrag beleuchtet grundlegende Unterschiede, Leistungsmetriken und die Anwendungsmöglichkeiten von GPU- und CPU-Setups für Ihre CFD-Projekte.t

Seminare zum Thema
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