Warum Digitalisierung und Nachhaltigkeit zusammengehören
Gerhard Friederici 22.11.2024
Nachhaltigkeitsziele bereits in die frühen Phasen der Produktentwicklung integrieren
„Twin Transformation“ und „Digitainability“ sind Begriffe, mit denen Benjamin Schleich die Untrennbarkeit von digitaler Transformation und Nachhaltigkeitsstrategien in Unternehmen unterstreicht. CADFEM Mitarbeiter Marc Vidal hat den Professor für Product Life Cycle Management der TU Darmstadt getroffen: Ein Gespräch über Mindset, Wettbewerbsvorteile und praktikable Wege in KMU.
Benjamin, du leitest das Fachgebiet für Product Life Cycle Management an der TU Darmstadt. Was genau sind Eure Forschungsschwerpunkte?
Wir beschäftigen uns in unserer Forschung mit der Entwicklung von Produkten und Prozessen, und zwar aus einer Lebenszyklusperspektive. Wir bilden vollständige Produktlebenszyklen virtuell ab, um sie dann ressourcenschonender zu gestalten. Ziel ist, datengetriebene Nachhaltigkeit oder „Design for Sustainability“, d.h. die frühzeitige Bewertung von Designentscheidungen im Hinblick auf die Nachhaltigkeit von Produkten bei ihrer Herstellung und im späteren Betrieb, zu realisieren.
Was sind dafür die Treiber in der Industrie?
Viele Firmen reagieren auf die spürbaren Folgen des Klimawandels und übernehmen damit gesellschaftliche Verantwortung. Zudem wird die Gesetzgebung in diesem Bereich verschärft. Ein dritter Punkt ist, dass man über Nachhaltigkeit Kosten einsparen und sogar neue Geschäftsmodelle entwickeln kann. Denn wer Nachhaltigkeit schon in der Entwicklung mitdenkt, hat Wettbewerbsvorteile. Eine höhere Energieeffizienz senkt schließlich Produktionskosten und eine gute Ökobilanz ist für Kunden zunehmend kaufentscheidend.
Wenn wir uns der technischen Seite zuwenden, was sind deiner Meinung nach die wichtigsten „Zutaten“, um Nachhaltigkeit datengetrieben zu implementieren?
Aus meiner Sicht ist es zunächst entscheidend, dass im Unternehmen das richtige Mindset für Nachhaltigkeit verankert ist, mit klaren Zuständigkeiten, die über die Produktentwicklung hinausreichen. Auf der technischen Seite sind prospektive Lebenszyklusanalysen essenziell. Dazu braucht man zeitgemäße Entwicklungswerkzeuge – also CAD, CAE, PLM, außerdem detaillierte Materialdaten sowie genaue Informationen zur Ökobilanzierung. Dies alles gilt es sinnvoll zu verknüpfen.
Lesetipp
Mit Prof. Benjamin Schleich wurde ein Leitfaden zur Implementierung von D4S in mittelständischen Unternehmen entwickelt.
Diese Thematik betrifft nicht nur die Großen, sondern auch KMU, beispielsweise mittelständische Maschinenbauer. Was empfiehlst du denen, um sich „Design for Sustainability“ zu nähern?
Der richtige Weg ist eine schrittweise Annäherung – statt es gleich als Riesenprojekt anzugehen. Besonders wichtig finde ich, dass Nachhaltigkeit mit der Digitalisierung einhergeht, denn diese bietet sehr viele Hebel, um effizienter zu werden. Man spricht hier von „Twin Transformation“ oder „Digitainability“. Diese Kombination ist ein Schlüssel, um Nachhaltigkeit in der Produktentwicklung zu verankern. Meine Empfehlung ist zudem, sich fachkundige Unterstützung zu holen, etwa von Forschungspartnern wie uns und Digital-Engineering-Spezialisten wie CADFEM.
Was wäre denn aus deiner Erfahrung der erste Schritt, den man gehen sollte?
Meiner Meinung nach ist der erste Schritt, die eigene Situation und die relevanten Aspekte zu definieren. Egal welche Lösung man später implementiert, sie muss immer dem individuellen Ausgangspunkt folgen. Ein Fehler, den man vermeiden sollte, ist, Lösungen oder Tools zu implementieren, die eigentlich gar nicht zum eigenen Unternehmen und den jeweiligen Problemen passen. Daher ist es wichtig, sich zu Beginn über die Bereiche im Klaren zu sein, in denen man datenbasiert relativ schnell Fortschritte erzielen kann. Einmal verstanden, ergeben sich die nächsten Schritte meist fast von selbst.